Friedensforschung – Daten und Fakten

frieden_02wWas versteht man unter Friedensforschung? Wie lässt sich Friedensforschung beschreiben?


Lassen Sie mich diese Fragen mit drei längeren Zitaten beantworten. Das erste Zitat lautet:

„Friedensforschung – nicht selten wird man komisch angeschaut, wenn man erzählt, man arbeite auf diesem Gebiet. Kann man zu Frieden „forschen“? Oder vielleicht sogar dafür? Frieden gilt als anerkanntes Ziel der Politik und ist deshalb häufig Legitimationsressource staatlichen Handelns. Die Debatten darüber sind immer politisch und zum Teil höchst normativ, weshalb sich schnell die Frage stellt, wie sich das wissenschaftliche Neutralitätsgebot und andere Standards auf so einen Gegenstand beziehen können. Und wie kann ein einzelnes Forschungsgebiet zu etwas arbeiten, was eigentlich eine gesamtgesellschaftliche oder letztlich globale Aufgabe ist ?
Offensichtlich ist Frieden kein Forschungsgegenstand wie jeder andere. es gibt ja Klischees, wie die von Friedensforscherlnnen als romantische Hippies oder „Gutmenschen“ (letzteres wurde jüngst zum „Unwort“ des Jahres 2015 gekürt), die sich einbilden, die Welt retten zu können. Andere Vorurteile gehen in die umgekehrte Richtung und vermuten eine bestimmte Art von Kriegsforschung hinter dem positiv klingenden Begriff. Auf jeden Fall stellt sich die Frage nach den Besonderheiten der Friedensforschung und ihrer Vertreterlnnen. Sind Friedensforscherlnnen also eher politisch engagierte Menschen mit einem akademischen Hintergrund, Vertreterlnnen einer pazifistischen Position in gesellschaftlichen Debatten oder Beraterlnnen der Politik in Friedensfragen, wo es dann um Krisenprävention und Rüstungskontrolle, aber auch um Militäreinsätze und dergleichen geht?“

Eine Mitarbeiterin der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) beschreibt die Aufgabe der Friedensforschung folgendermaßen:

„Vorschläge [zu] entwickeln, wie die Ursachen von Konflikten möglichst frühzeitig erkannt, ihrer gewaltsamen Austragung vorgebeugt und politische Regelungen für ihre Lösunge getroffen werden können.
Im Unterschied zur Konfliktforschung ist die Friedensforschunq damit explizit auf den Frieden hin orientiert und in diesem Sinne normativ. Eine solche präskriptive Dimension im Sinne einer klaren Zielvorgabe leitet meine Themenauswahl und hilft mir, die gelegentlich im Forschungsalltag auftretende Frustration zu überwinden. Ohne Konfliktforschung wäre Friedensforschung freilich kaum vorstellbar. Wer an der Verhinderung und Beilegung gewaltsamen Konfliktaustrags interessiert ist, kommt nicht umhin, die Ursachen bzw. Bedingungen von Konfliktdynamiken zu erforschen. Friedens- und Konfliktforschung sind für mich also zwei Seiten ein und derselben Medaille. Forschen für den Frieden bedeutet, dass Friedensforschung anwendungsorientiert ist und ihre Erkenntnisse an relevante Entscheidungsträger*innen weitergibt. Sie sollte zuvorderst diejenigen erreichen, die „friedensrelevante“, d.h. für eine Problematik bedeutsame, Positionen bekleiden – von Politiker*innen und Diplomaten*innen bis hin zu Mitarbeiter*innen von Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen. Sie sollte auch Akteure ansprechen bzw. einbinden. die willentlich zu „Unfrieden“ beitragen und scheinbar nicht am Frieden interessiert sind. Die Chance der Friedensforschung besteht aus meiner Sicht gerade darin, einen Raum zu schaffen, in dem die Konsequenzen eines Handelns frei von politischen bzw. diplomatischen Zwängen auf der Basis solider Forschung aufgezeigt und diskutiert werden können.“

Und in einem dritten Beitrag, wo es um eine Bestandsaufnahme zur Friedensforschung in Deutschland und den USA geht, wird zur Friedensforschung folgendes bemerkt:
„Friedensforschung wird häufig als der Teil der Konfliktforschung eingestuft, der die Grundlagen für einen dauerhaften Frieden analysiert. Dazu werden die unterschiedlichen Interessen, Bedürfnisse und Forderungen der involvierten Staaten, Gruppen oder Individuen gegeneinander abgewogen und politische Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt, die einen nachhaltigen Frieden, den Schutz von Menschenrechten und manchmal auch die Überwindung von Unterentwicklung ermöglichen. Dieser Einstufung liegt jedoch die Annahme zugrunde, dass Unfrieden – im extremsten Falle Krieg – die Norm, Frieden hingegen die Ausnahme ist. Denn sonst wäre ja umgekehrt die Konfliktforschung Teil der Friedensforschung.
Friedensforschung wird in der Regel interdisziplinär und handlungsorientiert betrieben, z.B. von Historikern, Anthropologen, Soziologen, Psychologen, Politologen, Wirtschaftswissenschaftlern und/oder Naturwissenschaftlern, um der Forderung nach Frieden nicht nur akademisch, sondern auch pragmatisch und praxisrelevant gerecht werden zu können. …
Wie wir „Frieden“ wissenschaftlich konzipieren, hängt großenteils davon ab, welchen Stellenwert Sicherheitsdenken einnimmt. Um die Friedensforschung in Deutschland und den USA vergleichend analysieren zu können, ist daher vorab eine Abgrenzung der verwandten Felder Friedens- und Konfliktforschung und Sicherheitsstudien angebracht.
Friedensforschung zielt auf einen positiven Frieden, was nach Galtung (1971) nicht nur die Abwesenheit von Krieg an sich, sondern auch von direkter und struktureller Gewalt bedeutet. Dies hat zur Folge, dass beispielsweise in den wissenschaftlichen Ansätzen des Liberalen Idealismus oder des Konstruktivismus die systematische Analyse von Konflikten auch Variablen wie Kultur, Identität und Religion mitberücksichtigt. Sicherheitsstudien (security studies) bedienen sich typischerweise der einen oder anderen Variante der realistischen Theorie der Internationaler Beziehungen und ihrer gedanklichen Ableger (z.B. Institutionalismus). Sie nehmen daher standardmäßig die Sicht eines spezifischen Akteurs ein, zumeist die des Staates. Dies führt nicht nur zu unzureichenden Analysen und reduktionistischen Handlungsempfehlungen. Es entspricht auch immer weniger einer sich zunehmend diversifizierenden weltpolitischen Sicherheitslage, die in wachsendem Maße von Individuen, Nichtregierungsorganisationen sowie nicht-staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren geprägt wird.
Da staatliche Entscheidungen zumeist reaktiv sind, d.h. in der Regel auf vorangegangene Ereignisse antworten oder ähnlichen Auswirkungen zukünftig präventiv vorbeugen wollen, basieren Entscheidungsprozesse fast zwangsläufig auf dem Streben nach einem negativen Frieden. Dieser Tatbestand spiegelt sich in der Finanzierung friedenswissenschaftlicher Studien wieder. In Deutschland, wesentlich mehr noch als in den USA, sind die Regierung selbst oder regierungsnahe Institutionen typische Auftrag- und Arbeitgeber für friedens- bzw. sicherheitsrelevante Studien. Dies erklärt sicherlich zum Teil, warum viele Studien den Erhalt oder die Herbeiführung von negativem Frieden – auch unter Einsatz militärischer Mittel, jedenfalls aber mit dem Staat als primärem Handlungsträger – in den Mittelpunkt rücken. Dies spiegelt sich nicht nur in den Themen der „Friedensgutachten“ der letzten Jahre wider, sondern auch in den aktuellen Forschungsprogrammen, beispielsweise der Stiftung Wissenschaft und Politik, der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung oder des German Institute for Global and Area Studies in Hamburg.
Während in Deutschland Friedens- und Sicherheitsforschung dennoch recht eng miteinander verwoben sind, wie die Beispiele des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg oder des Internationalen Konversionszentrums in Bonn zeigen, sind beide Bereiche in den USA traditionell stärker getrennt. Dies lässt sich zum einen auf die Schwerpunktsetzung während des Kalten Krieges zurückführen, waren damals doch die Aufgabenbereiche der beiden Felder deutlich unterschiedlich definiert : Sicherheitsforschung beschäftigte sich fast ausschließlich mit militärischen Überlegungen und der Messung von Waffenkapazitäten, während die Friedensforschung auf Dialog und Diplomatie sowie auf den Versuch ausgerichtet war, über die Mitgliedschaft der staatlichen Konfliktparteien in internationalen Regimen Frieden zu institutionalisieren.

Obgleich deutsche Forschungseinrichtungen traditionell beide Ansätze voranzutreiben suchen – vielleicht auch, weil man wegen der besseren Finanzierungsmöglichkeiten von sicherheitspolitischen Studien Friedensforschung oft nur als Nebenprodukt „mitbetreiben“ kann -, stehen in Deutschland sicherheitspolitische Forschungsansätze oftmals im Vordergrund.“

Dirk-Michael Harmsen

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