Eigene Arbeit im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung

frieden_09wRückblick und Erinnerung

Im Sommer 1953 begann ich in Hamburg mein Leben als Student. Eigentlich wollte ich Chemie studieren, doch dafür bekam ich keine Zulassung wegen einer damals unzureichenden Anzahl vorhandener Laborplätze. Man riet mir, ich solle mich zunächst für Mathematik immatrikulieren. Später könne ich mich umschreiben lassen. Im Grundstudium der ersten Semester würden alle naturwissenschaftlich interessierten Studierenden sowieso in denselben Vorlesungen sitzen und lernen. So geschah es. Zum Wintersemester 1953 erhielt ich dann die Neuzulassung für Physik. Für die Zulassung zum Chemie-Studium hätte ich noch einige Semester warten müssen.

Mein politisches Interesse war erwacht, so ließ ich mich im Sommersemester 1954 in den Allgemeinen Studentenausschuss (AStA) wählen, wo ich das Amt des Gesamtdeutschen Referenten übernahm. Eine der ersten Aktivitäten in diesem Amt war die Organisation einer Fahrt mit Studierenden nach Ost-Berlin zum „2. Deutschlandtreffen der Jugend“ vom 5. -7. Juni 1954, das von der Freien Deutschen Jugend (FDJ) in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) organisiert wurde. Hauptziel des Besuchs war eine Diskussion in der Humboldt-Universität über den Marxismus-Leninismus. Weiteres Highlight im Amt des Gesamtdeutschen Referenten des AStAs war die Organisation einer studentischen Diskussionsveranstaltung mit Herbert Wehner, dem in Hamburg seit 1946 wohnenden führenden Mitglied der Sozialdemokratischen Partei (SPD) über dessen politischen Werdegang. (Wehner war 1927 der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD) beigetreten, aus der er – nach seinem Exil in Moskau (1937-1941) und Schweden (1941-1945) – durch das Politbüro der KPD unter Leitung Wilhelm Piecks während seiner Gefangenschaft in Schweden aus der KPD ausgeschlossen wurde).

Auf einer Pressekonferenz am 5. April 1957, nachdem die Überlegungen der NATO zur nuklearen Teilhabe Deutschlands bekannt geworden waren, offenbarte Adenauer seine Haltung zur Atomwaffenfrage: „Unterscheiden sie doch die taktischen und die großen atomaren Waffen. Die taktischen Waffen sind nichts weiter als eine Weiterentwicklung der Artillerie.“ Daraufhin entwickelte sich öffentlicher Protest mittels der Kampagne Kampf dem Atomtod, die sich als außerparlamentarische Widerstandsbewegung gegen die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen und deren Stationierung auf deutschen Boden organisierte.

Kurz nach dieser Pressekonferenz haben 18 führende deutsche Atomwissenschaftler unter Federführung von Otto Hahn und Carl Friedrich von Weizsäcker am 12. April 1957 die „Göttinger Erklärung“ veröffentlicht, die auf die Zerstörungskraft dieser Waffen hinwies und vor den militärischen und politischen Folgen der Atombewaffnung warnte.

Im März 1958 fand eine mehrtägige Debatte im Deutschen Bundestag statt, die im Rundfunk übertragen wurde und die ich mir – wie viele andere auch – streckenweise anhören konnte. Es ging um die Ausrüstung bzw. den Zugang der Bundeswehr zu taktischen Atomwaffen. Ich hatte den Eindruck, dass viele der Argumente, die vorgetragen wurden, sachlich nicht stimmten. Ich wollte herausfinden, was man zu jenem Zeitpunkt über die Wirkungen von Kernwaffen wissen konnte. So gründete ich eine studentische Arbeitsgruppe mit neun Gleichgesinnten. Wir waren alle fortgeschritten in unserem Studium, ich selbst saß bereits an meiner experimentellen kernphysikalischen Diplomarbeit. Wir teilten die Arbeit in 11 Kapitel ein (Physikalische Grundlagen; Die grundlegenden Erscheinungen bei verschiedenen Typen von Kernexplosionen; Druckphänomene bei Kernexplosionen und ihre Auswirkungen; Die Wirkung der thermischen Strahlung; Die Initialstrahlung; Die Entstehung und Verbreitung radioaktiven Staubes; Toleranzdosen; Die Gefährdung durch den radioaktiven Fallout in Deutschland; Biologische Auswirkungen radioaktiver Strahlung; Ziviler Bevölkerungsschutz im Atomzeitalter; Die technische Möglichkeit eines kontrollierten Verbots der Kernwaffenversuche). Ich hatte die Gesamtkoordination der Arbeit übernommen.

Zur selben Zeit besuchte ich Vorlesungen von Carl Friederich von Weizsäcker, der 1957 auf den Lehrstuhl für Philosophie der Universität Hamburg berufen worden war (Geschichte der Kosmogonie (WS 1957/58); Quantentheorie und Logik (SS 1958); Logik (WS 1958/59 und SS 1959). Nach einer der Vorlesungen sprach ich ihn an und berichtete ihm von unserem Projekt, das nahezu abgeschlossen sei, und fragte ihn, ob er uns helfen könne, einen Verleger für unser Manuskript zu finden. Er sagte das zu unter der Bedingung, dass das Manuskript „Hand und Fuß“ habe. Er ließ das Manuskript von verschiedenen Experten begutachten und teilte uns dann mit, dass er den Verleger der Fischer Bücherei angesprochen habe, der bereit sei, das Manuskript zu veröffentlichen. Er selbst, Weizsäcker, wolle eine Einleitung dazu schreiben.
Im April 1961 erschien unser Buch mit dem Titel „Kernexplosionen und ihre Wirkungen“ und der Einleitung Carl Friedrich von Weizsäcker als Band 386 in der Fischer Bücherei.

Einige Zeitungen (z.B. die Hamburger Morgenpost) und Zeitschriften (Stern) veröffentlichten Auszüge aus unserem Buch. Nachdem am 14. November 1961 Hermann Höcherl (CSU) zum Bundesinnenminister ernannt worden war, beschloss er nach nur 4 Tagen im Amt eine neue Prioritätenliste für sein Handeln: an erster Stelle stand der Zivile Bevölkerungsschutz, an zweiter Stelle die Notstandsgesetzgebung. Bald danach wurde die erste Zivilschutzfibel kostenlos an die westdeutsche Bevölkerung verteilt. Das war Anlass genug für die Kabarettisten der „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“, ihr 9. Programm im Jahr 1962 unter das Motto „Überleben Sie mal!“ zu stellen. In der Eröffnungsnummer des Ensembles wurden die Aussagen der Zivilschutzfibel des Innenministeriums den Aussagen des Buches „Kernexplosionen und ihre Wirkungen“ gegenübergestellt. Da blieb den Zuschauern das Lachen im Munde stecken. Viele ältere Zeitgenossen werden sich noch daran erinnern, dass das Innenministerium in der Zivilschutzfibel allen Ernstes der Bevölkerung vorschlug, bei einer Atomexplosion, die einen im Freien erwischt, sich schnell auf den Bauch zu legen und eine Aktentasche oder eine Zeitung über den Kopf zu halten. In der Wohnung sollte man unter einen Tisch kriechen.

Nach dem Abschluss von „A wie Atomwaffen“ im Jahr 1961 dachte ich an eine Trilogie, nämlich die Herausgabe weiterer Informationsschriften: „B wie Biologische Waffen“ und „C wie Chemische Waffen“. Ich sammelte bereits entsprechende Informationen. Inzwischen war ich Mitglied der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) geworden.

Doch es herrschten unruhige politische Zeiten. Es gab Anklagen des Landesverrats auf der Grundlage der sogenannten „Mosaiktheorie“, wonach die Zusammenstellung und Weitergabe längst bekannter Tatsachen Geheimnisverrat sein kann. Das VDW-Mitglied Werner Maihofer, seinerzeit ordentlicher Professor für Rechts- und Sozialphilosophie, Strafrecht und Strafprozessrecht in Saarbrücken, riet mir von meinem Vorhaben ab, so lange die Frage nicht geklärt sei, ob die „Mosaiktheorie“ im Strafrecht weiterhin Bestand habe oder nicht. So ließ ich diese Projekte fallen und widmete mich intensiver meiner Promotion im Bereich der Elementarteilchenphysik.

Günter Howe, ebenfalls Mitglied der VDW, wusste von meinen Plänen und fragte mich, ob ich bereit sei, für das Evangelische Staatslexikon, das in Vorbereitung war, das kurze Stichwort „ABC-Waffen. I. Begriff und Arten“ zu verfassen. Ich sagte zu. Das Evangelische Staatslexikon erschien 1966 im Kreuz-Verlag, Stuttgart.

Erst gegen Ende der 1980er Jahre arbeitete ich wieder aktiver im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung, und zwar im Rahmen meiner Mitgliedschaft in der Evangelischen Landeskirche in Baden.

Von Dr. Dirk-Michael Harmsen

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